Biblische Konzepte in die chakassische Erde einpflanzen
Rundbrief, Winter 2021-2022

Chakassien in Südsibirien ist in mancher Beziehung ein einzigartiges Land. Es gilt zu Recht als das „archäologische Mekka“ Sibiriens, ein Land mit reicher Geschichte und alter Kultur. Mehr als 30‘000 archäologische Funde sind hier bewahrt. Chakassien wird auch „das Land der 1000 Seen“ genannt und ist für die Heilkraft des mineralhaltigen Wassers in einigen dieser Seen bekannt. Der Tus-See (auf Chakassisch „Salzsee“) wird sogar „das chakassische Tote Meer“ genannt. Wie im Toten Meer in Israel kann man sich auf das salzhaltige Wasser legen ohne unterzugehen.

 

Das chakassische Volk stammt von den Jenissei-Kirgisen ab, die im 7. Jahrhundert n. Chr. über Chakassien herrschten und später von mongolischen Stämmen erobert wurden. Heute sind die Chakassen weder Moslems, wie etwa die Kirgisen in Zentralasien, noch Buddhisten, wie die benachbarten Tuwiner, die in ihrer Geschichte zeitweise auch von der Mongolei beherrscht worden waren. Wie viele andere sibirische Völker sind die Chakassen Schamanisten. Obwohl sie sich im späten 19. Jahrhundert in Massen zur Orthodoxie bekehrt hatten, so passte sich die Mehrheit doch nur den äusserlichen, rituellen Seiten des Christentums an. Im Geheimen praktizierten sie weiterhin den Glauben ihrer Vorfahren. So legten die chakassischen Schamanen ihre Taufkreuze weg und bedeckten die Ikonen, wenn sie im Geheimen ihre Rituale vollzogen. Heute ist das Interesse der Chakassen an ihren alten Traditionen sehr gross. Dies hängt einerseits mit dem Wiederaufleben des ethnischen Bewusstseins und andererseits mit einem neuen ökologischen Denken zusammen.

Und doch, als das zweisprachige chakassisch-russische NT 2012 vom IBT herausgegeben wurde, erhielten wir dafür sehr positive Rückmeldungen. Den meisten Chakassen ist das Christentum ziemlich fremd geblieben, weil dessen Verbreitung nur wenig durch die Verkündigung des Evangeliums oder missionarische Aktivitäten unterstützt worden ist. Das christliche Wertesystem wurde im Allgemeinen nur als Folge von freundschaftlichen Beziehungen mit Russen oder durch interkulturelle Ehen angenommen. So wird die erste wirkliche Begegnung mit Christus und dem Christentum für die Chakassen wohl durch Bibeltexte in ihrer Muttersprache geschehen.

Die letzte Reise des chakassischen Projektkoordinators in die Region hat gezeigt, dass es durchaus Chakassen gibt, die daran interessiert sind, alttestamentliche Texte in ihrer eigenen Sprache zu lesen. Das Übersetzungsteam hat an mehreren AT-Texten gearbeitet. So ist das Buch Jona im September 2021 als dreisprachige Ausgabe (mit russischem und englischem Paralleltext) erschienen. Anfang November fand in Abakan, der Hauptstadt von Chakassien, die Präsentation dieses Buches statt. Als nächste Projekte sind u.a. 1. und 2. Mose geplant.

Seit dem Beginn der Covid-Pandemie, als das IBT die Übersetzungsseminare in ein Online-Webinar-Format umwandelte, hat eine Übersetzerin des chakassischen Teams aus eigener Initiative treu an all diesen Webinaren teilgenommen. Sie erklärte ihre Motivation so: „Seit den 1990er Jahren übersetze ich die Bibel. Gegenwärtig arbeite ich an Exodus. Diese Webinare machen mir so viel Freude, dass ich an jedem einzelnen teilnehme. Es ist für mich sehr nützlich, die besprochenen Bibeltexte zu übersetzen, selbst wenn sie nicht direkt mit unseren eigenen Projektplänen zusammenfallen.“

Beim Webinar von 2020 zur Übersetzung von Habakuk stellte der Exegese-Prüfer des chakassischen Projekts fest, dass der Abschnitt 3,17-18 klarer übersetzt werden müsste – dort heisst es:  „Auch wenn der Feigenbaum nicht blüht, die Reben keine Früchte tragen und der Ölbaum nicht gedeiht… dennoch will ich jubeln über den Herrn und mich freuen über Gott, meinen Retter“ –. Er sagte: „Wir kennen weder Feigenbäume noch Weinstöcke oder Oliven in der chakassischen Sprache. So haben wir sie durch sibirische Pflanzen ersetzt: Amur-Kirsche, Beeren, Nüsse.“ Die chakassische Übersetzerin ergänzte: „Der Feigenbaum wurde durch Amur-Kirsche ersetzt, weil in unserer Kultur vieles damit verbunden wird; die Leute können sogar das Wetter vorhersagen, wenn sie das Wachstum dieser Kirs chenart beobachten, und in der sibirischen Küche wird sie vielfältig gebraucht. Wir ersetzten die Trauben durch Beeren, indem wir einen chakassischen Gattungsnamen gebrauchten, der Erdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren einschliesst. Und wir ersetzten die Oliven durch Nüsse, weil auch aus Nüssen Öl gewonnen wird. Wir nehmen an, dass dieser ganze Abschnitt Gefühle hervorrufen möchte, und dass nicht Pflanzenarten, sondern die Haltung der Menschen das Wichtigste in Vers 17 ist.“  Der Habakuk-Lektor, ein Berater für Bibelübersetzung, fasste es so zusammen: „Wenn wir nur dieses eine Buch haben, so stimme ich zu, dass wir Begriffe für Pflanzen brauchen, die im Leben der Leserinnen und Leser wichtig sind. Ich frage mich aber, was wir bei anderen Bibelstellen machen werden, wenn vom Beschneiden des Weinstocks die Rede ist… Einerseits möchten wir die Übersetzung unseren Lesern nahe bringen. Andererseits dürfen wir nie vergessen, dass der Ausgangstext Realitäten einer anderen Kultur spiegelt, und diese Bilder sind wichtig. Die Übersetzerin, der Übersetzer muss sich zusätzlich anstrengen, um die geschichtliche Verbindung mit der Zeit und der Kultur des Originaltexts zu erhalten. Das könnte z.B. sogar durch einfügen von Illustrationen geschehen. Es gilt als Erstes, den Zweck Ihrer Übersetzung zu beachten. Wenn Sie wollen, dass Ihre Leser verstehen, was der Herr im historischen Kontext für sein Volk tut, so ist das eine mögliche Vorgehensweise. Wenn der Text jedoch für Predigten dienen soll, haben Sie mehr Freiheiten. Es wird schwierig sein, sich in einem Moment ein für alle Mal zu entscheiden. Wir können heute eine Entscheidung treffen, diese dann prüfen und verändern, dann zusätzliche Informationen finden und sie wieder verändern. Das Wichtigste ist, nicht mechanisch zu übersetzen, sondern immer an den Kontext und an das Publikum zu denken.“

Ein Jahr später ergriff die chakassische Übersetzerin am Webinar 2021 zur Übersetzung des Hohelieds das Wort, um anderen Teams zu helfen. Auch diese hatten mit dem Fehlen von verschiedenen, in der Bibel vorkommenden Pflanzen in ihren nördlichen Ländern zu kämpfen. Sie erklärte: „In jedem Wort steckt ein Grundkonzept. Die sibirische Zeder beispielsweise ist ein sehr starker Baum. Man kann auf sie klettern, ohne dass sie sich biegt. Das Gleiche gilt für die Zeder des Libanon, daher kann ich unser Wort für Zeder einsetzen. Bei der Zypresse dagegen vermeide ich diesen Namen, denn kein chakassischer Leser hat eine klare Vorstellung von diesem Baum. Ich ersetzte daher ‚Zypresse‘ durch den Namen eines immergrünen Baumes aus unserer Gegend. Die schwierigsten Begriffe sind für uns mit dem Weihrauch verbunden. Auf Chakassisch haben wir nur ein einziges Wort für Düfte, handle es sich nun um ein angenehmes oder ein unangenehmes Empfinden. Wir haben nur einen Oberbegriff, der ‚Geruch‘ bedeutet. Für genauere Unterscheidung muss ich Adjektive beifügen: lieblich, süss etc. Dasselbe gilt für alkoholische Getränke. Da muss ich Adjektive einsetzen, um den Wein vom Wodka zu unterscheiden.

Für diejenigen, die jedes einzelne Wort in die reinste Form ihrer Sprache übersetzen wollen, ohne je ein Lehnwort zu brauchen, habe ich einige Ratschläge. Natürlich unterscheiden sich Sprachen in ihrem Wortschatz. Es gibt Sprachen, die viele Wörter im aktiven Gebrauch haben, und andere, die einen beschränkteren Wortschatz haben. Dennoch gibt es Begriffe, die nur für die Region charakteristisch sind, in der ein Text verfasst worden ist. Das bedeutet, dass unsere Sprache vielleicht keinen dem alten Hebräisch entsprechenden Ausdruck kennt; das ist völlig normal. Gleichzeitig sind Trauben heutzutage aber jedem bekannt, wo er oder sie auch leben mag. So können wir das dem Russischen entlehnte Wort in unsere Übersetzung aufnehmen. Es gibt mehrere Bibelstellen, bei denen es wichtig ist zu verstehen, dass es sich im Text um Trauben und um nichts anderes handelt. Wir sollten dem Leser, der Leserin eine klare Vorstellung von den alltäglichen Merkmalen der alttestamentlichen Kultur vermitteln, auch wenn diese sich sehr von der unsrigen unterscheidet.“

So sehen wir, wie die chakassische Übersetzerin bei ihrer Arbeit an verschiedenen alttestamentlichen Fragmenten ihren eigenen Weg gefunden hat, um das Gleichgewicht zwischen Anpassung an die eigene Sprache und Erhaltung des Fremden zu bewahren.

 

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