Das Institut für Bibelübersetzung IBÜ hat reiche Erfahrung mit der Übersetzung der Bibel in Sprachen, die bisher keine eigene Schrifttradition hatten oder erst seit kurzer Zeit über eine eigene Schrift verfügen. Unlängst konnte das IBÜ seiner langen Liste von Übersetzungen eine neue Publikation hinzufügen: Das Lukasevangelium in andischer Sprache. Das Andische zählt zu den schriftlosen Sprachen und gehört der ando-tsesischen Gruppe der dagestanischen Sprachen im Nordostkaukasus an. Zur selben Gruppe gehört auch das schriftlose Beschtinische, für welches das IBÜ bereits das Lukasevangelium (2000) und das Buch der Sprüche (2005) herausgegeben hat.
Die Mehrheit der Andier lebt in Siedlungen des Botlich-Bezirks von Dagestan. Nach offiziellen Angaben sank ihre Zahl von 21'808 Einwohnern (Volkszählung 2002) auf 11'789 Einwohnern (Volkszählung 2010).
Das Andische ist dem Awarischen nahe verwandt. Diese beiden Sprachen sind sich in vielem ähnlich: sowohl in ihrer Herkunft, wie auch in ihrer Struktur; ausserdem ist die awarische Schriftsprache allen Andiern vertraut. Deshalb war es völlig naheliegend und natürlich, für das Andische das awarische Alphabet zu verwenden, als das Übersetzerteam vor der Frage stand: Wie geben wir eine schriftlose Sprache wieder? Allerdings gibt es im Andischen eine Reihe Phoneme, die das Awarische nicht kennt. Um diese Phoneme mit dem Buchstabenbestand des Awarischen wiederzugeben, musste das Alphabet in der ersten Version der Übersetzung durch Buchstabenverbindungen und Sonderzeichen ergänzt werden. Im Laufe der Arbeit erwies es sich jedoch, dass für die Angehörigen schriftloser Sprachgruppen bisher unbekannte Zeichen und unbekannte Buchstabenverbindungen ein Lesehindernis sind. In der Schlussredaktion wurde dann entschieden, diejenige Orthographie zu übernehmen, die in der Zeitung „Botlich“ für das Andische verwendet wird. Obwohl es in dieser Orthographie keine Sonderzeichen und kaum unbekannte Buchstabenverbindungen gibt und viele phonetische Unterschiede inkonsequent wiedergegeben werden, entschied sich das Übersetzerteam gerade für diese Schreibweise, da sie für die Leser bequemer und gewohnter war.
Es ist nun schon fast zwanzig Jahre her, dass der erste Vers des Lukasevangeliums in die andische Sprache übersetzt wurde. Obwohl das Übersetzerteam viele Hindernisse zu überwinden hatte, setzte es seine Arbeit unbeirrt fort: es sollte unbedingt ein Buch in andischer Sprache erscheinen. Denn bisher war die einzige Publikation in andischer Sprache ein kurzer Ausschnitt aus dem Lukasevangelium (2:1 -20), der in der vielsprachigen IBÜ-Ausgabe „Die Geburt von Jesus Christus in 80 Sprachen“ (2000) abgedruckt wurde.
Das Institut für Bibelübersetzung hofft, dass die Publikation des Lukasvangeliums zu einem freudigen Ereignis für das Volk der Andier wird.
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