Werte

Warum braucht es die Bibelübersetzung? Sprechen diese Völker denn nicht russisch?

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die nichtslawischen Völker der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ihre ethnische und kulturelle Identität wiederentdeckt. Sie wollen ihre eigene Sprache sprechen und ihre eigenen kulturellen und nationalen Werte fördern. Obwohl die meisten Menschen russisch sprechen und es verstehen, zeigen doch viele Zeugnisse, wie wichtig es ist, ihnen die Bibel in ihrer Muttersprache zur Verfügung zu stellen:

Als ich Christin wurde, beschuldigten mich meine Verwandten, meinen Ursprung und unsere nenzische Kultur und Tradition zu verleugnen. Die Nenzen denken, man müsse Russe werden, um Christ sein zu können. Darum ist es für uns wichtig, das Neue Testament in unserer Sprache zu bekommen. Nun, da das Lukasevangelium gedruckt ist und wir die christliche Botschaft auf Nenzisch haben, kann ich mit meiner Grossmutter und meinen anderen Verwandten in einer Sprache über Gott reden, die sie wirklich verstehen.

Eine nenzische Gläubige

Wir brauchen die Bibel in unserer Sprache. Früher, als ich sie auf Russisch las, verstand ich sie mit meinem Kopf. Wenn ich sie nun in meiner eigenen Sprache lese, verstehe ich sie mit dem Herzen, und ich merke, dass ich mich zu verändern beginne.

Ein Mitglied des karakalpakischen Teams

Gottes Wort in unserer eigenen Sprache zu hören, spricht uns direkter an. Es weckt in uns die tiefsten Gefühle.

Ein Leser der tschuwaschischen Evangelien

Die meisten Kalmücken können zwar russisch, aber sie sagen: „Wenn wir das Evangelium in unserer Sprache hören, nehmen wir Gott als unseren Gott auf. Wenn wir es auf Russisch lesen, so ist Jesus Christus ein fremder Gott.“

Ein Mitglied des kalmückischen Übersetzungsteams

Während meines ganzen Lebens habe ich geglaubt, Gott sei ein russischer Gott. Jetzt aber, wo ich das Evangelium in meiner Sprache lese, verstehe ich, dass er mein Gott ist und dass er mich liebt.

Eine Leserin des lesgischen Evangeliums


Was bedeutet es für die Übersetzerinnen und Übersetzer, die Bibel zu übersetzen?

„Gibt es nach der Bibel überhaupt noch etwas zu schreiben?“

Die etwa 70‘000 Altaier leben in der Republik Altai, in der Altairegion und in der Region von Kemerowo in Russland. Ihre Sprache gehört zu den Turksprachen. Die Altaier sind orthodoxe Christen oder hängen dem Schamanentum an.

Der Übersetzer des altaischen Neuen Testaments, Sergej Torbakow, ist ein bekannter Autor und Dichter. Im Dezember 2003 sagte er anlässlich der Präsentation des altaischen Neuen Testaments: „Im nächsten Jahr werde ich 50jährig. Doch nur die letzten zwölf Jahre waren bedeutungsvoll für mich, nämlich die Jahre, in denen ich am Neuen Testament gearbeitet habe. Was ich vorher getan habe, scheint mir leer und ohne Bedeutung. Gibt es nach der Bibel überhaupt noch etwas zu schreiben? Ich finde es schwer, dieses Buch jetzt loszulassen, auch wenn ich weiss, dass ich nichts mehr daran verbessern kann. Aber es ist gut zu wissen, dass wir wirklich alles getan haben, was wir konnten, um eine gute Übersetzung zu bekommen.“

„Was vorher bloss Worte waren, ist nun bedeutungsvoll.“

Asya* arbeitet an der Übersetzung der Bibel in eine der Sprachen Zentralasiens. Die Christen in ihrem Volk stehen unter starkem Druck seitens der Behörden, und die Arbeit muss im Geheimen geschehen. „Ich entschloss mich, diese Arbeit zu tun, um eine bessere Muslimin zu werden“, sagt sie. „Ich wusste, dass die Bibel eines der heiligen Bücher ist, die im Koran erwähnt werden. Während ich übersetzte, dachte ich viel über den Text nach, und wir hatten interessante Gespräche im Team. Die Worte der Bibel sprachen zu mir, und nach einigen Monaten beschloss ich, Christin zu werden. Da passierte etwas Interessantes – meine Übersetzungsarbeit veränderte sich total. Was vorher bloss Worte waren, ist nun bedeutungsvoll. Die Arbeit ist viel leichter geworden.“

*Name geändert

„Die Arbeit an der Bibelübersetzung bedeutet mir alles.“

In der Tschuwaschischen Republik (Russland) leben etwa 2 Millionen Tschuwaschen. Tschuwaschisch ist eine Turksprache. Die Tschuwaschen sind orthodoxe Christen.

Peter Jakowlew ist ein bekannter tschuwaschischer Dichter. „Nach der Perestroika, als Tscheboksary wieder offen war und Ausländer einreisen durften, kam eine amerikanische Linguistenfamilie hierher. Sie suchten Sprachlehrer, die ihnen beim Erlernen der tschuwaschischen Sprache helfen könnten. Mit Hilfe eines Dolmetschers erfuhr ich den Grund ihres Anliegens: Sie wollten den Leuten, die an der Neuübersetzung der tschuwaschischen Bibel arbeiteten, exegetische Unterstützung anbieten. Zuerst fragte ich mich, ob das wirklich nötig sei, da wir doch schon eine gute Übersetzung hatten. Ich hatte sogar während der Sowjetzeit die Bibel gelesen, aber ich verstand sie nur mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen. Ich war als Kind getauft worden, doch ich hatte kaum christliche Literatur gelesen. Als ich dann den Entwurf der neuen Übersetzung las, realisierte ich, dass die Übersetzer keine Sprachexperten waren und dass sie auf sehr einfachem Niveau übersetzten. Sie verstanden zwar das gesprochene Tschuwaschisch; eine gute Übersetzung erfordert aber mehr als das. Es braucht dazu Kenntnisse der Schriftsprache, der sozio-kulturellen Sprachumgebung und davon, wie der durchschnittliche Leser die Übersetzung verstehen würde. Das alles muss auf professionellem Niveau geschehen. Ich danke Gott, dass ich mich dem Übersetzungsteam anschliessen konnte. Ich bin wie der verlorene Sohn, der nach Hause zurückgekehrt ist. Jetzt analysiere ich die Gedichte, die ich früher geschrieben habe, und ich erkenne darin, dass ich Gott gesucht habe. Die Arbeit an der Bibelübersetzung bedeutet mir alles.“

Die letzte Handlung

Die Osseten (ca.600‘000) leben in der im Nordkaukasus gelegenen Republik Nordossetien (Russland). Ossetisch gehört zu den iranischen Sprachen. Die Osseten sind orthodoxe Christen und Muslime.

Der sprachwissenschaftliche Überprüfer des ossetischen Neuen Testaments, das 2004 veröffentlicht worden ist, war ein bekannter ossetischer Schriftsteller mit muslimischem Hintergrund. Er machte sich viele Gedanken über das Christentum, und im Übersetzungsteam gab es viele tiefe Gespräche. 2003 erkrankte er an einer gefährlichen Krebsart. Während einigen Monaten kämpfte er gegen die Krankheit. Eines Abends bat er den Übersetzer, zu ihm zu kommen. Sie beteten zusammen, und er übergab sein Leben dem Herrn. Am nächsten Tag starb er.