„Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin kein professioneller ‚Literat‘. Aber eines Tages erwachte in mir ein tiefes Sehnen, das sich in eine brennende, mich umtreibende Frage verwandelte: Warum hat mein Volk kein eigenes Schriftsystem?“
So leitete Elisa (Wir geben ihm dieses biblische Pseudonym) seine Geschichte über die Anfänge seiner Mitarbeit in einem unserer Übersetzungsprojekte im Kaukasus ein. In unserem Gespräch erkannte ich Elisas grosse Hilfsbereitschaft, aber auch seine Abneigung zu sprechen. Seine Freundlichkeit kämpfte mit seiner festen Entschlossenheit, unerkannt zu bleiben. Erst nach meiner Zusicherung, dass sein Name nicht genannt würde, begann Elisa ungezwungen zu sprechen. Seine Worte waren eine von Herzen kommende Bestätigung für zwei bei kaukasischen Kulturen typische Eigenschaften: das grosse Verantwortungsgefühl und die Grosszügigkeit. Während dem halbstündigen Interview war ich die Fremde, die Elisas Hilfe brauchte, und er erwies sich als ein sehr wohlwollender Gastgeber, der mich in die besten Seiten seiner Kultur einführte...
...Weder Alim noch irgendein Verwandter glaubten daran, dass dieses Leben noch zu retten wäre. Alles, was nun folgte, gleicht der Geschichte vom verlorenen Sohn. Alims Rettung aus dem Abgrund von Sünde und Verzweiflung, seine darauf folgende Versöhnung mit seiner Familie und seine totale Wiederherstellung fanden in mehreren Etappen statt. Der allererste Hoffnungsschimmer leuchtete auf, als er im Gefängnis in den frühen 1990er Jahren von einem anderen Balkaren besucht wurde. Es war einer der wenigen balkarischen Christen, der ihn da durch Gottes Führung in seiner Muttersprache anredete...
Galina, ein Mitglied vom chakassischen Bibelübesetzungs- und Audioaufnahmeteam des IBÜ, beginnt zu erzählen: „Früher hatten die Chakassen folgende Beerdigungsrituale: Der Leichnam des verstorbenen Familienmitglieds blieb zuhause, und seine Angehörigen holten einen Chaidzi (Sänger von Heldenballaden). Der Chaidzi begleitete seinen Gesang auf einem chakassischen Musikinstrument mit sieben Saiten, das Tschatchan genannt wird. Dieses Instrument ist der Stolz der Chakassen, weil wir das einzige asiatische Volk sind, das dieses Instrument durch die Zeiten hindurch zu bewahren verstanden hat. In früheren Zeiten war es in ganz Asien verbreitet.
„Wenn ein Gast ein kurdisches Haus betritt, sagt der Gastgeber gewöhnlich: ‚Du bist gekommen, um auf meinen Kopf zu treten‘.“ Das berichtete unser kurdischer Übersetzer im IBT-Büro in Moskau, als wir ihn nach kurdischen Traditionen beim Empfang von Gästen fragten. Zu sagen, wir seien schockiert gewesen, wäre noch eine Untertreibung! Auf Russisch bedeutet die gleiche Redensart, dass eine Person uns ärgert, dass ihr Verhalten uns aufs Äusserste nervt und dass ihr Tun uns schreckliche Probleme bereitet. Wir schauten einander fragend an: Was konnte er wohl meinen? Wollte er damit sagen, die Kurden hätten, anders als andere Völker des Mittleren Ostens, keine Tradition der Gastfreundschaft? Dass sie ihre Gäste zutiefst ablehnen? Aber alles regelte sich, als der Übersetzer diese seltsame Redensart erklärte: ‚Auf jemandes Kopf treten‘ zeigt auf Kurdisch die tiefe Demut des Gastgebers, der sich sozusagen zu Boden, ja, unter die Füsse seines Gastes wirft… Es war also genau das Gegenteil dessen, was wir vermutet hatten.
„Das Lukasevangelium wurde ins Tschuktschische übersetzt. Das Übersetzungsteam umfasst Muttersprachler aus der Volksgruppe und auswärtige Experten. Ihr Ziel ist es, sicher zu stellen, dass die Übersetzung für den Leser klar und verständlich ist, und was noch wichtiger ist, dass die eigentliche Bedeutung, der Sinn und die Wirkung durch den Text vermittelt werden.“