Die Bibel gut zu übersetzen, ist kein einfacher Prozess. Von jedem übersetzten Text werden wenigstens vier aufeinander folgende Entwürfe gemacht, wobei in jedem Stadium verschiedene Überprüfungen vorgenommen werden: exegetische Überprüfung, internes Nachprüfen, sprachwissenschaftliches Redigieren, Tests mit Einheimischen, Durchlesen mit dem sprachwissenschaftlichen Berater, externes Überprüfen usw. Aber selbst wenn die Übersetzung beendet, das Buch veröffentlicht und in der entsprechenden Sprachregion angekommen ist, muss es doch irgendwie zu den Lesern kommen, und auch das ist keine einfache Aufgabe...
Um die Mitte des letzten Jahrtausends vor Christus schlossen sich im östlichen Transkaukasus (auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschan) 26 Stämme zu einem Bündnis zusammen. Sie bildeten das polyethnische Königreich Kaukasisch-Albanien, das im 4. Jahrhundert nach Christus das Christentum als Staatsreligion annahm. Teile der Bibel wurden in die kaukasisch-albanische Sprache übersetzt, die zur lesginischen Sprachfamilie gehörte. Diese Übersetzung ging jedoch während des Mittelalters verloren. Teile davon wurden in der jüngsten Vergangenheit wieder entdeckt. Zwischen dem 12. und dem 17. Jahrhundert kam der Islam in der Gegend an die Herrschaft, und so sind die lesginischen Völker heute mehrheitlich Muslime. Sie praktizieren einen volkstümlichen Islam, es sind aber auch Spuren der christlichen Vergangenheit erkennbar, und in den Volksbräuchen kann man noch Spuren des alten Heidentums finden.
Was braucht es, um ein Bibelübersetzer zu werden? Bei einer sehr kleinen ethnischen Gruppe mit einer vom Aussterben bedrohten Sprache genügt es manchmal, dass jemand seine Muttersprache gut kennt, auch wenn es bloss die gesprochene Form ist. Bei grösseren Sprachgruppen mit einer gut entwickelten Schriftsprache sind die IBT-Übersetzer meistens Fachleute auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft oder der Literatur. Das ist die Situation im darginischen Projekt des IBT. Gegenwärtig besteht dieses Team aus zwei Übersetzern und einem Anwärter, einem dritten möglichen Übersetzer. Alle sind sie Spezialisten ihrer Sprache. Aber berufliches Interesse an der Sprache allein führt jemanden mit einer anderen religiösen Tradition noch nicht in ein Bibelübersetzungsprojekt. Was motiviert sie dann, diesen Pfad einzuschlagen?
Russland ist gross, und der Zeitunterschied zwischen Moskau und Jakutien (Republik Sacha) beträgt sechs Stunden. Am Ende einer Arbeitswoche mit dem Übersetzungsberater im Moskauer IBT-Büro befragte ich unsere Jakutisch-Übersetzerin Sargylana nach den neuesten Nachrichten ihre Übersetzung betreffend. Während dem Gespräch stellte sich heraus, dass sie jeden Morgen um 4 Uhr aufgestanden ist – in Jakutien war es 10 Uhr –, weil Sargylana sich nicht an die Moskauer Zeit gewöhnen wollte. Nach einem langen Arbeitstag und unvermeidlichen Haushaltsarbeiten am Abend ging sie der Moskauer Zeit entsprechend zu Bett. So ergab das für sie bloss fünf Stunden Schlaf. Aber das entspricht ihrer ausserordentlichen Hingabe, und der Versuch, sie zu mehr Sorgfalt im Umgang mit sich selber zu bewegen, schien nutzlos.
Als Ulyana Mongusch von ihrer Arbeit erzählte, trug sie ein leuchtend gelbes Kleid im tuwinischen Stil. Es herrschte trostlos graues Moskauer Wetter. Daher konnte es mir beim Anblick solcher Schönheit nur besser gehen, und es stellte sich schnell heraus, dass die Kleiderwahl nicht zufällig war: „In Kysyl, der Hauptstadt von Tuwa, haben wir sehr heisse Sommer und sehr kalte Winter. Im Winter heizen wir Tag und Nacht unsere Öfen mit Kohle, weil die Zentralheizungen zu wenig Wärme abgeben. Die ganze Stadt ist mit schwarzem Smog erfüllt ist. Es wäre unvernünftig, etwas Weisses anzuziehen, denn bis zum Abend sind die Kleider schwarz vom Russ. Aber ich bin Lehrerin, und ich erachte es als meine Pflicht, meine Studentinnen und Studenten zu inspirieren. Darum ziehe ich im Winter trotz dem Russ etwas Helles an. So habe ich auch dir einen Sonnenstrahl gebracht...“